Ich werde immer wieder gefragt, Silke, bist Du jetzt auch eine Trauerbegleiterin? Die Frage lässt sich nicht mit einem Ja oder Nein beantworten. Natürlich habe ich mich nach dem Tod meines Mannes intensiver mit dem Thema und vor allem mit meiner eigenen Trauer auseinander- nein ich möchte eher sagen: zusammen gesetzt. und ihr den ihr zustehenden Raum gegeben.
Doch auch in meiner langjährigen Arbeit als Trainerin für Krisenbewältigung begegnete ich immer wieder unterschiedlichsten Trauer-Themen und erkannte schon lange: Trauer hat viele versteckte Gesichter und hat längst nicht „nur“ mit dem körperlichen unabdingbaren Tod tun.
Aber eines haben alle Trauer-Themen gemeinsam: Sie sind ungebetene Gäste. Sie kommen zu früh, greifen ungefragt in unser Leben ein und verursachen nicht selten pure Ohnmacht.
Dabei wollen wir doch alle unser Leben so gerne „im Griff“ haben.
Wir greifen nach unterschiedlichsten „Techniken“, Trauer aus unserem Leben zu drängen. Wir lenken uns ab, wollen am besten nicht drüber reden, verstecken uns hinter Tapferkeit und Stärke oder sogar Ignoranz. Bloß nicht drüber nachdenken, denn Trauer macht schwach. Trauer macht hilflos. Das passt nicht in unser kontrolliertes Leben.
Wo finden wir überall Trauer?
Natürlich im Tod und im Sterben. Dies ist wohl die „gewaltigste“ Form der Trauer.
Doch wir finden Trauer noch in vielen weiteren Lebensbereichen.
Nach einer Enttäuschung folgt häufig eine versteckte Trauer. Viele Menschen sagen jedoch meist: „ich bin immer noch so enttäuscht – und merken gar nicht, dass das Gefühl längst nicht mehr Enttäuschung sondern pure Trauer ist.
Der Verlust des Arbeitsplatzes kann neben Angst und Sorgen eine tiefe Trauer auslösen.
Auch Einsamkeit nach einer Trennung wird häufig mit Trauer verwechselt.
Ein Umzug kann Trauer verursachen.
Sogar eine selbstbestimmte und gut überdachte Veränderung wird oft durch ein Trauer-Gefühl beeinträchtigt, vor allem wenn sich nicht die gewünschte Erleichterung dabei einstellt.
Neulich unterstützte ich in einem Coaching eine Therapeutin. Sie hatte ihre Ausbildung mit Bravour bestanden, stolz ihre Praxis eröffnet und merkte plötzlich, dass sie trotzdem nicht in die Freude kommt. In unserem Gespräch zeigte sich, dass sich ihr vertrauter Freundeskreis massiv veränderte, weil sie „so anders geworden wäre“.
Ersehnte und/oder unerreichte Erfolge und Träume tragen oft signifikante Trauer-Merkmale in sich, die selbst von erfahrenen Coaches nicht erkannt werden.
Viele Selbstständige tragen eine besondere Form der Trauer in sich und kommen allein deshalb nicht in den gewünschten Erfolg. Sie optimieren sich fachlich zwar permanent, aber oft merken sie dabei gar nicht, dass hier in Wirklichkeit eine Form von einer larvierten (verborgenen) Trauer um die eigene (scheinbare) Unzulänglichkeit vorliegt.
Auch erfolgreiche Menschen können unter Trauer leiden, denn Erfolg bedeutet nicht immer Sieg, er bedeutet auch oft Niederlagen in anderen Lebensbereichen…
Eine weit verbreitete Trauerform ist – wenn sie unerkannt bleibt – der Verlust der eigenen ursprünglichen Persönlichkeit. Wir alle kennen Beispiele von berühmten Stars und VIP’s die abstürzen. Nicht immer, weil ihnen der Erfolg zu Kopf steigt, sondern weil sie unter einer Form der Trauer leiden, die Versagens- und Verlustängste in sich birgt.
Ein unsichtbares Trauer-Tattoo in der Seele finden wir auch bei Vertrauensverlust oder dem Gefühl des ausgenutzt Werdens, des Identifikations-Verlustes, wenn wir uns zu sehr an andere anpassen.
Trauer-Gesichter verbergen sich oft unerkannt in Familien-Themen
Da ist der traurige Künstler, dessen Werke in seiner Familie nicht wertgeschätzt werden.
Da ist die traurige Mutter, deren Leistung nicht anerkannt wird.
Da ist der Patriarch, der seine erwachsenen Kinder so klein hält, dass sie ihre eigenen Träume, ja vielleicht sogar ihr eigenes Leben traurig wegschieben.
Trauer – das weitreichend unterschätzte Signal.
Wir haben gelernt, unangenehme Gefühle „in den Griff“ zu bekommen. Warum eigentlich? Warum glauben wir, dass wir immer taff sein müssen? Stark sein müssen? Warum sind wir so hart mit uns selbst – und mit anderen?
„Du musst nur Loslassen“ ist der Bullshit-Satz, der uns so oft als ultimative Lösung gegen Trauer auf dem Silber-Tablett präsentiert wird. (was ich darüber denke, kannst Du hier nachlesen.)
Trauer ist ein Gefühl, das wie jedes andere Gefühl gesehen, gelebt und verstanden werden will. Oder hat Dir schon jemals einer gesagt „Du musst nur Deine Freude loslassen? 😉
„Das Leben geht weiter“ ist der nächste Bullshit-Satz, mit dem wir unsere Trauer einfach überwinden (oder sollte ich sagen ignorieren?) sollen.
Warum hat uns keiner gelernt, Trauer als eines der wichtigsten Gefühle anzuerkennen. Sie sind ein Teil dessen was zum Leben dazugehört.
Warum ist Trauer wichtig?
Trauer ist wie eine Laterne, die uns zum Sinn des Lebens führt. Sie bringt uns in den wahren Kontakt mit dem Leben. Sie öffnet uns für Tiefe und für Weisheit. Sie gibt uns Antworten auf den Sinn des Lebens. Sie bringt uns dazu, Fragen zu stellen, von denen wir gar nicht wussten, dass wir sie in uns tragen.
Silke Steigerwald
Wenn wir lernen, auch die Trauer in ihrer Vielfältigkeit zu verstehen und ihr Raum zu geben, statt sie wie einen unsichtbaren Feind zu ignorieren, dann, erst dann können wir das Leben in seiner Ganzheit erleben und neue Hoffnung schöpfen, Mut finden und auch der Freude wieder Raum geben.
In diesem Sinne, werde endlich trauermutig.
(Dieses Wort ist übrigens nicht von mir, es ist eine Wortkreation von Leonie Vogt, einer wundervollen Bestatterin, mit der ich einmal pro Monat nicht nur Trauernden einen Raum für die Sprachlosigkeit der Trauer öffne, sondern auch für Menschen, die Trauernde empathisch begleiten und unterstützen wollen).
Wenn Du das Gefühl hast, dass Du in Deiner Trauer alleine bist oder dass irgendeine Form von unerlöster Trauer auch Dein Leben blockiert und Dir Deine Freude und Lebendigkeit gestohlen hat, dann schreib mir eine kurze Mail mit dem Betreff trauermutig oder finde mehr dazu HIER.
Gerne kannst Du für Deine Themen auch mein E-Mail-Coaching nutzen.
WEIL DU WICHTIG BIST
Habe Pipi in den Augen Silke,
in den letzten fast 4 Jahren habe ich meine Trauer wohl für andere sehr extrem gelebt. Nicht nur die um meine geliebte Mutti. Und ich schäme mich nicht immer wieder in Tränen auszubrechen – so wie jetzt beim Lesen deines Newsletters. ich bin dankbar für diese intensive Zeit, für all das Schöne, das ich dadurch erleben durfte. Eure Trauergruppe auch mal aufzusuchen ging bei mir „noch“ nicht. Aber es ist noch nicht abgehakt.
Danke für von Herzen für deine wundervolle Art, Dinge schriftlich klar und deutlich zu machen 🙂